Herr Echternach gibt nicht auf

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Ein Vater kämpft seit drei Jahren dafür, seine Kinder sehen zu dürfen – doch die Mutter verweigert den Umgang. Sie hat sich mit den Jungen nach Japan abgesetzt. Jetzt hat der Mann Verfassungsbeschwerde eingereicht.

Was Johann am liebsten zum Nachtisch isst, weiß Björn Echternach nicht. Ob Karl am Abend gern eine Gute-Nacht-Geschichte hört, kann er nicht sagen. Johann, fünf, und Karl, sechs Jahre alt, sind Echternachs Söhne. Doch er weiß so gut wie nichts über ihre Vorlieben, ihre Abneigungen, über ihren Alltag. Echternach hat Karl und Johann seit drei Jahren nicht gesehen. Und das liegt nicht an ihm.about:blank

Die Mutter verschwand im Juni 2017 mit den Kindern. An einem Tag im Mai ging der heute 42-Jährige mit seinen Söhnen auf den Spielplatz. “Wir hatten viel Spaß”, erinnert sich Echternach. Anschließend übergab er die Kinder wieder der Mutter. Die Echternachs lebten bereits getrennt. Es war das letzte Mal, dass er die beiden Jungen sah. Seitdem bleiben jegliche Kontaktversuche unbeantwortet. Echternach vermutet, dass seine Frau mit den Kindern in Japan lebt, von dort stammt sie ursprünglich.

Doch sicher ist selbst das nicht. “Die Wahrheit ist”, sagt Echternach, “dass ich nicht mal weiß, ob meine Kinder noch leben.”

Im Jahr 2018 berichtete der SPIEGEL erstmals über den Fall, damals waren Karl und Johann seit einem Dreivierteljahr verschwunden. Einige Monate nach ihrem Verschwinden hatte die Mutter per Anwalt mitgeteilt, dass sie nun in Japan lebe. Seitdem kämpft Echternach vor Gericht um seine Kinder. Er will erreichen, dass seine Frau mit den Jungen nach Deutschland zurückkehrt, damit hier über das Sorgerecht entschieden werden kann. Selbst ein japanisches Gericht gab ihm darin zuletzt Recht.

Doch nun durchkreuzt ausgerechnet ein deutscher Gerichtshof Echternachs Pläne. Das Brandenburgische Oberlandesgericht, das den Fall zuletzt verhandelte, sprach Björn Echternach im April das Sorgerecht für seine Kinder ab – und übertrug es an die Mutter der Kinder. Sie verfügt demnach nun über das alleinige Sorgerecht. Monatelang hatte Echternach auf die Entscheidung gewartet. Damit gerechnet, dass die Richter gegen ihn entscheiden könnten, hatte er nicht.

Zwar habe die Mutter Karl und Johann “widerrechtlich entzogen”, bestätigt das Gericht in seinem Beschluss. Doch nach der langen Trennung vom Vater könne von einer positiven emotionalen Bindung “nicht mehr zweifelsfrei ausgegangen werden”. Es entspreche daher dem Kindeswohl am besten, wenn die Jungen bei ihrer Mutter verblieben. Auf eine Anfrage des SPIEGEL bezüglich einer Stellungnahme zu dem Fall reagierte das Gericht nicht.

“Ich bin zusammengebrochen, als ich den Beschluss in Händen hielt”, erzählt Echternach. Die Chance, dass seine Kinder nach Deutschland zurückkehren, gehen durch diese Entscheidung nach seiner Einschätzung gegen Null.Verzweifelter Vater: Suche nach Karl und JohannFoto:

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Verzweifelter Vater: Suche nach Karl und Johann4 Bilder

Aber nicht nur der Vater, auch die beteiligten Experten zeigen sich entsetzt: Das Verhalten der Mutter und der Entzug der Kinder nach Japan seien “eindeutig kindeswohlschädigend”, bekundet das zuständige Jugendamt. Es fehle eine fundierte Begutachtung der Mutter und ihrer Kinder in Japan. Ohne ein Sorgerechtsverfahren in Deutschland, bei dem sich alle Beteiligten vor Ort befinden, seien Entscheidungen “spekulativ”.

Auch die Verfahrensbeiständin empfahl die schnellstmögliche Rückführung der Kinder nach Deutschland. Bisher habe dazu der Beschluss des Oberlandesgerichts gefehlt, er sei auch ein “Signal an die japanischen Behörden”.

Ausschlaggebend für die Entscheidung des Oberlandesgerichts könnten wohl auch unbestätigte Beschuldigungen der Mutter gegen Echternach gewesen sein. Mit jedem Schreiben ihrer Anwälte hatte sie diese gesteigert: Er sei arbeitslos und drogensüchtig gewesen, habe Gewalt gegen sie verübt, sei pädophil veranlagt. Nie konnte sie die Vorwürfe untermauern, selbst das OLG bezeichnete sie in seinem eigenen Beschluss als “nicht plausibel”.

Auch ein Gutachter, der Karl und Johann vor ihrem Verschwinden traf, hielt jegliche Vorwürfe gegen Echternach für unglaubwürdig. Echternach selbst sagt, die Vorwürfe seiner Frau seien frei erfunden. Doch sie stehen nun im Raum. Für eine Stellungnahme gegenüber dem SPIEGEL war die Mutter nicht erreichbar.

Der Fall ist auch nach Einschätzung des ehemaligen Verfassungsrichters Matthias Dombert außergewöhnlich. “Das Gericht privilegiert mit seinem Vorgehen eine Kindesentführerin. Das darf nicht sein”, sagt Dombert.

Björn Echternach gibt derweil nicht auf. Er will nun auf höchster Ebene gegen den Beschluss vorgehen – der Familienvater hat Verfassungsbeschwerde eingereicht. Dombert, der heute als Anwalt arbeitet, vertritt ihn in dem Verfahren. Doch der Erfolg ist ungewiss.

Der Jurist kennt die Verfahren, die am Verfassungsgericht verhandelt werden – er selbst war dort 15 Jahre tätig. Echternachs Anfrage um juristischen Beistand ist laut seiner Aussage eine der wenigen, die er als Anwalt annahm. Denn die Hürde, bei einer Verfassungsbeschwerde Recht zugesprochen zu bekommen, ist hoch. Wie gut die Chancen Echternachs sind, tatsächlich zu gewinnen, darauf will sich auch Dombert nicht festlegen.

Kein einziger erfolgreicher Fall

Dabei hat Björn Echternach das Recht auf seiner Seite – eigentlich. Seine Söhne sind beide in Deutschland geboren. Bis ihre Mutter mit den Kindern verschwand, lebten sie in Berlin. Ein Sorgerechtsstreit muss in diesem Fall vor einem deutschen Gericht ausgetragen werden. Verlässt ein Elternteil ohne Erlaubnis das Land, gilt das als Kindesentziehung. Echternach nennt es “Entführung”.

Grundlage bildet ein internationales Abkommen mit einem sehr langen Namen, Experten sprechen kurz vom “HKÜ”: dem Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung. Das Abkommen besagt, dass Sorgerechtsverfahren in der ursprünglichen Heimat der Kinder ausgetragen werden müssen. Es soll sich schlicht nicht lohnen, dem Partner die Kinder zu entziehen, indem man sie ins Ausland mitnimmt.

Auch Japan ist Mitglied, gilt jedoch als schwieriger Fall. Denn die dortigen Gerichte setzen angeordnete Maßnahmen oft nicht konsequent durch, sobald ein Elternteil ihnen widerspricht. Viele verzweifelte ausländische Eltern kämpfen hier um ihre Kinder. Oft scheitern sie. In Deutschland ist kein einziger erfolgreicher Fall einer Rückführung von entzogenen Kindern bekannt.

Weitere Entführungen verhindern

Seine Freizeit verbringe er damit, um seine Söhne zu kämpfen, sagt Echternach. Er arbeitet als Informatiker, nach Feierabend setzt er sich zu Hause an den PC. Er hat ein internationales Netzwerk von Betroffenen aufgebaut, er telefoniert viel, pflegt eine Website mit Informationen zum Thema Kindesentzug nach Japan. Immer wieder betont er, dass es ihm vor allem darum gehe, weitere Entführungen zu verhindern.

Auch die Hoffnung, seine eigenen Söhne irgendwann wieder zu sehen, gibt er nicht auf. Selbst wenn die Verfassungsbeschwerde erfolgreich sein sollte, würde es dazu aber wohl nicht kommen: Denn das Verfassungsgericht entscheidet nicht über den Sorgerechtsstreit an sich. Es könnte den Fall höchstens an das Oberlandesgericht zurückverweisen. Die Richter müssten dann erneut entscheiden.

Bevor seine Kinder verschwanden, hatte ein Gutachter sowie das Jugendamt den Eltern und dem zuständigen Amtsgericht ein Wechselmodell empfohlen, berichtet Echternach. Allerdings unter der Auflage, dass die Mutter zustimmt. Dies sei aber nie geschehen. “Die Zeit, die ich für Johann und Karl eingeplant hatte, verbringe ich jetzt mit der Suche nach ihnen.”